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Biografie

* 27.12.1862 in Greifswald
† 25.01.1944 in Merxhausen
 

Nur wenige Quellen geben Aufschluss über Leben, Werk und Wirken der bedeutenden deutschen Liedkomponistin aus der Zeit um 1900, Luise Greger. Dazu gehören zeitgenössische Zeitungsberichte ebenso, wie der Briefwechsel zwischen Luise und ihrer Schwester Agnes Mancke, geb. Sumpf (*23.8.1851 Greifswald, gest. 6.9.1935? Berlin?), der zum Teil im Nachlass erhalten ist.

Luise Sumpf wurde am 27. Dezember 1862 in Greifswald als jüngstes Kind des Brauereibesitzers August Sumpf und seiner Frau Auguste Siemers geboren. Sie hatte zwei Brüder und eine Schwester. Von ihrem fünften Lebensjahr an erhielt sie Klavier- und Theorieunterricht bei dem Greifswalder Musikdozenten Carl Ludwig Bemmann (1807-1893). Sie besuchte die Höhere Tochterschule in Greifswald.

Über ihren Werdegang finden sich bisher nur in zwei Quellen weiterführende Hinweise: in einem Zeitungsartikel von Renate Reichmann im Hessenspiegel vom 30. Mai 1925[1] und im Fragebogen der Reichsmusikkammer aus dem Jahr 1939[2]. Vor ihrem Umzug nach Berlin begleitete Luise laut Renate Reichmanns biografischen Informationen „ ihre kranke Mutter für ein ganzes Jahr nach Italien und in die Schweiz …. Es begann damit die Zeit der großen Reisen, die in dem Leben unserer Künstlerin eine bedeutende Rolle spielen, und welche sie – zuerst mit den Eltern, dann in Begleitung des Gatten – in alle Länder Europas und des näheren Orients führten. Daß ihre früh entwickelte Kunst sie überall mit hervorragenden Menschen zusammenbrachte, ist begreiflich. So musizierte sie bei ihrem Aufenthalte in Pallanza am Lago Maggiore drei Wochen lang jeden Abend im Salon des gleichzeitig dort zur Erholung weilenden 70jährigen Alfred Krupp…“[3] Diese Begegnungen dürften Anfang der 1880er Jahre stattgefunden haben. Im Jahr 1882 dann wurde bei ihr selbst ein Lungenleiden diagnostiziert. Sie berichtet ihrer Schwester Agnes davon in einem Brief vom 15. Juni 1882. Es folgten mehrere Erholungsaufenthalte in Prora[4] auf Rügen. Auch in dem Fragebogen der Reichsmusikkammer wies sie selbst auf dieses Lungenleiden hin: „wegen Lungenkrankheit und häufigem Aufenthalt im Süden und in Davos“ habe sie das öffentliche Musizieren aufgegeben.[5] Da ihre Auftritte bis 1924 dokumentiert sind, bezieht sich diese Angabe wohl auf die Zeit danach.

Der Selbstauskunft im Fragebogen der Reichsmusikkammer ist außerdem zu entnehmen, dass Luise in Berlin Gesangsunterricht bei Hedwig Wolf erhalten hat. Der bemerkenswerteste Vermerk ist derjenige, dass Richard Strauß, der zwischen 1933 und 1935 Präsident der Reichsmusikkammer war, ihr den „Berufstitel Komponistin“ verliehen habe[6]. Nicht gesicherten Angaben zufolge soll sie ein Jahr lang in Berlin an der Königlichen Hochschule studiert haben.[7] Da Frauen in dieser Zeit noch nicht zum Studium zugelassen wurden, kann Luise Greger bestenfalls den Status einer Gasthörerin erhalten haben. In dem Hessenspiegel-Artikel wird zudem erwähnt, sie habe sich in ihrer Berliner Zeit musikalisch bei verschiedenen Meistern fortgebildet.[8] Genaueres ist nicht bekannt.

1888 heiratete sie in Berlin den Arzt Dr. Ludwig Greger (1860-1919). Zwei Söhne wurden in Berlin geboren: Helmuth (1889-1939) und Klaus (1892-?). 1894 siedelte die Familie nach Kassel über. Hier gründete Ludwig Greger ein Sanatorium. „Mit der Übersiedelung nach Wilhelmshöhe 1894 traten neue Pflichten an sie heran durch die Begründung einer Kuranstalt, deren wirtschaftlichen Betrieb zu leiten ihr oblag.“[9] Der älteste Sohn Helmuth trat später in die Fußstapfen seines Vaters und erweiterte das Sanatorium zu einer Privatklinik für Chirurgie und Geburtshilfe.

Im Jahr 1911 wurde die Ehe geschieden; eine mutige Entscheidung in einer Zeit, in der geschiedene Frauen gesellschaftlich im Abseits standen. Sie bezog eine große Wohnung in der Wilhelmshöher Allee 259. Unterstützt von ihrem Sohn Helmuth, der ebenfalls musikalisch begabt war und seine Baritonstimme hatte ausbilden lassen, intensivierte sie ihre Aktivitäten als ausübende Musikerin. So veranstaltete sie in ihrer Wohnung weiterhin musikalische Salons. Deutschlandweit trat sie als sich selbst begleitende Musikerin auf. Ein im Jahr 2017 aus Privatbesitz in den Nachlass gelangtes Album[10] mit gedruckten und handschriftlichen Noten enthält auch ein Doppelblatt aus der Zeit um 1925.[11] Dieses dokumentiert im Stil eines Pressespiegels Zeitungsberichte über Konzerte, die Luise Greger zwischen 1912 und 1924 in Deutschland gab. Sie trat in Berlin, Frankfurt am Main, Greifswald, Lage/Lippe, Husum, Bad Oeynhausen und in Kassel und Umgebung – Bad Wildungen und Fritzlar – mit großem Erfolg auf. Konsens bestand sowohl in der Einschätzung der Sängerin, als auch ihrer pianistischen Fähigkeiten und der Wahrnehmung der Qualität ihrer Liedkompositionen. Stellvertretend für die vielen ähnlich lautenden Beurteilungen sei hier die Konzertbesprechung der Husumer Nachrichten zitiert: „Man mußte nicht nur die mühelos quellende schöne Stimme, die fesselnde Auffassung, den temperamentvollen Vortrag ihrer entzückenden Lieder bewundern, sondern auch die mit unfehlbarer Sicherheit aus dem Gedächtnis herausgegebene vollendete Begleitung. Es war – wie auch die Kritiken anderer Städte sagen – ein Erlebnis, zumal für die besonderen Stormfreunde, da die Tondichterin eine Reihe von ihr congenial vertonter Stormlieder zu Gehör brachte.“[12] Damit können etliche Lücken ihrer künstlerischen Biografie geschlossen werden. Die hier nachzulesenden Zeitungsberichte sind ein Beispiel für die überregionale Aufmerksamkeit, die Luise Greger in den 1920er Jahren genoss.

Ein weiteres Beispiel für die Anerkennung ihrer Künstlerpersönlichkeit auch in Kolleginnenkreisen ist ein Würdigungsblatt, das zum 110. Geburtstag der Pianistin und Komponistin Clara Schumann 1929 entstand. Darauf erinnern 11 Komponistinnen aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden und England an ihre berühmte Kollegin. Unter dem Porträt Clara Schumanns reihen sich Zitate aus Kompositionen und die Unterschriften aller Gratulantinnen aneinander. In der Mitte der rechten Spalte finden sich der Namenszug von Luise Greger und der Beginn ihres Liedes „Lenzestrost“ mit dem Textanfang „In meines Vaters Garten da flötet die Drossel so süss! Da flattern die grünen Standarten“.

Eine bemerkenswerte Würdigung ist der Kasseler Post anlässlich des 70. Geburtstages von Luise Greger im Dezember 1932 zu entnehmen.[14] Der Verfasser beschäftigt sich mit der Fragestellung, warum Komponistinnen „im Gegensatz zur Literatur…kaum oder nur als leere Namen in die Musikgeschichte eingegangen [sind], obgleich eigentlich die Musik sich mit dem weiblichen Wesen mindestens ebenso nahe berühren müßte wie die Dichtung.“ Weiter würdigt er das kompositorische Schaffen der Jubilarin mit den Worten: „…ihr künstlerisches Lebenswerk galt der weiblichsten Gattung der Musik, der Lyrik in allen Formen vom schlichten volkstümlichen Lied bis zur höchsten Verfeinerung und Vergeistigung der hohen Kunstgesänge. Eine reiche Ernte, die (bis op. 240 etwa) mehrere hundert Lieder umfaßt, hat ihr in ganz Deutschland und darüber hinaus eine stattliche Gemeinde, auch bei namhaften Konzertgrößen, gewonnen.“[15] – Sollte diese Opuszahl richtig sein, wären bis heute noch über 100 Werke verschollen. – Die Würdigung ihrer Künstlerpersönlichkeit mündet am Ende des Artikels in die Beschreibung: „Dem Kenner ihrer Lieder sind mancherlei Wandlungen, stetiges Wachsen nach innen spürbar, aber auch jeden andern fesseln sie immer wieder durch die eingängliche Plastik des Melodischen, Klarheit und Feinheit des wohlklingenden Satzes und die ursprüngliche Wärme des natürlichen Empfindens. Man darf also wohl hoffen, daß sie einmal in der Musikgeschichte mitgezählt werden.“[16]

Noch ungeklärt, für die weitere Biografie und hier insbesondere die Entstehungsgeschichte des Märchenspiels „Gänseliesel“ bedeutungsvoll, ist die Beziehung Luise Gregers zum Kreis der Elsaß-Lothringer. So kommt bei den Feierlichkeiten zum 10-jährigen Jubiläum im Jahr 1930 nicht nur ihre für vierstimmig gemischten Chor komponierte Hymne An mein Elsaß op. 156 aus dem Jahr 1928 (Text: Christian Schmitt) in der Kasseler Stadthalle zur Aufführung. Sie wurde außerdem zum Ehrenmitglied des Elsaß-Lothringischen Hilfsbundes zu Kassel ernannt.[17]

Die genaue Anzahl ihrer Werke konnte noch nicht bestimmt werden. Der Klavierauszug ihres Märchenspiels Gänseliesel trägt die Opuszahl 170. Es ist die höchste Zahl der bis heute aufgefundenen Werke. Ihr zweites und wahrscheinlich letztes Märchenspiel Teddy[18], gilt als verschollen. Ob das Werk jemals fertig gestellt wurde und zur Aufführung gelangte, ist fraglich.

Zu den Höhepunkten ihrer Karriere zählt sicherlich die Uraufführung des Gänseliesel, die am 10. Dezember 1933 im Stadttheater Baden-Baden stattfand. Luise Greger erlebte den großen Erfolg der Inszenierung persönlich mit. Das Märchenspiel dürfte ihre späteste derzeit bekannte Komposition sein.

Nachdem im Mai 1939 ihr letzter noch lebender Sohn Helmuth starb, zog sie in das sogenannte „Damenhaus“ des evangelischen Siechenhauses in Hofgeismar. Vor den Übergriffen durch die Nationalsozialisten waren die Frauen hier geschützt durch Pfarrer Theodor Weiß. Nach dessen Tod im Jahr 1943 wurde Luise Greger im Dezember dann im Sammeltransport in das Psychiatrische Krankenhaus Merxhausen gebracht; laut ärztlichen Aufzeichnungen wegen beginnender seniler Geistesschwäche. Sie starb am 24. Januar 1944 aufgrund gezielter Unterversorgung im Rahmen der unter der Bezeichnung T4 bekannt gewordenen Euthanasie-Maßnahmen der Nationalsozialisten. Dieses Schicksal mussten in Merxhausen ca. 400 Frauen erleiden.

Posthume Würdigung

Luise Greger stand 1993 und 2012 im Mittelpunkt des Kasseler Frauenempfangs. Bereits 1993 gab es erste Bestrebungen, mit einer Tafel an Luise Gregers letztem Wohnort ihrer zu gedenken. Dies wurde 2013 endlich realisiert: Eine Gedenktafel an ihrem ehemaligen Wohnhaus in der Wilhelmshöher Allee 259 in Kassel wurde am 1. September 2013 in Anwesenheit der hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva Kühne-Hörmann, feierlich enthüllt. Und eine weitere ganz besondere Ehrung wurde der Komponistin zuteil: Am 20. Juli 2013 wurde der Kasseler Fußweg zwischen Niederwaldstraße und Baunsbergstraße in „Luise-Greger-Weg“ umbenannt.

Anlässlich ihres 75. Todestages wird in Kassel vom 18. bis 19. Oktober 2019 ein Luise Greger Festival veranstaltet. Stellvertretend für alle Menschen, die dort umgebracht wurden, wird der Platz am Klostermuseum in Merxhausen im Rahmen des Festivals den Namen von Luise Greger erhalten.

[1] Renate Reichmann, „Luise Greger“, in: Hessenspiegel Nr. 5, 30.05.1925, S. 134-136
[2] Im Privatbesitz der Familie Greger
[3] Renate Reichmann, „Luise Greger“, in: Hessenspiegel Nr. 5, 30.05.1925, S. 135-136
[4] Siehe Brief an ihre Schwester Agnes Greifswald 15./6.82. Im Privatbesitz der Familie Greger
[5] Fragebogen der Reichsmusikkammer, S. 2
[6] ibid., S. 1
[7] Renate Reichmann, „Luise Greger“, in: Hessenspiegel Nr. 5, 30.05.1925, S. 135-136
[8] ibid., S. 136
[9] ibid., S. 136
[10] Nach dem Vorbesitzer nachfolgend „Album Haase“ genannt
[11] Besprechung und Urteile der Presse über den Kunstgesang und die Kompositionen von Luise Greger, in: Album Haase
[12] Musikalischer Besuch, in: Husumer Nachrichten, 7.9.1924, ibid. S. 2
[13] Original im Besitz des Sophie Drinker Instituts Bremen – http://mugi.hfmt-hamburg.de/old/A_materialsammlungen/wurm1860/index.php
[14] Dr. Gustav Struck, Luise Greger – Zu ihrem 70. Geburtstage am 27. Dezember, in: Kasseler Post 1932, vermutlich Dezember
[15] ibid.
[16] ibid.
[17] Verfasser des Textes soll ein Prof. Fischer aus Dresden gewesen sein. Siehe Regina Pastorff, Luise Greger, eine hessische Komponistin., in: Volk und Scholle, Heimatblätter für beide Hessen, Nassau und Frankfurt a. M. 19319, Heft 4, S. 106-107; darin: S. 107
[18] ibid., S. 107